Musik und Gesang sind ihre Welt. Mit Geistern hatte die Sängerin und Klangmalerin Orna Ralston nichts am Hut – diese jedoch mit ihr.
An diesem Abend trauen sich die Leute nicht, zu klatschen. So sehr hat Orna Ralston ihr Publikum zutiefst mit althebräischen Psalmen und Gebeten aus dem Alten Testament ergriffen. «Es sind die Mantren, die unserer Kultur zugrunde liegen», sagt sie. Als Tochter einer jüdischen Mutter und eines protestantischen Vaters vermag die Klangmalerin Brücken zu bauen zwischen zwei verschiedenen Kulturen mit starken gemeinsamen Wurzeln. Wenn diese Frau zu singen anhebt, ist es, als ob erstarrte Emotionen erwachen und sich auf wunderbare Weise wandeln würden. So geschehen an der Taufe ihrer neusten CD «Medicine of voice» (2014), die ihr Publikum zu Tränen rührte und Glückseligkeit in die Gesichter zauberte. Stimme von innen Gesang, Klang und Musik, das ist ihre Welt. Bereits in jungen Jahren fiel ihre Stimme auf, doch Vater Robert Ralston, selbst Maler und Bildhauer, verbrummte sie zu einer Ausbildung. «Mit dem Diplom habe ich manifestiert, dass ich die Regeln dieser Welt akzeptiere. Gleichzeitig war ich nachher frei, meiner Berufung zu folgen.» Immer klarer vernahm sie in sich die Stimme einer alten Frau , die sich als eine Art geistige Lehrerin entpuppte: «Sie sagte mir genau, wie ich singen sollte.» Auch als ein Musiklehrer ihr die Ausbildung zur Opernsängerin dringend empfahl. «Du hast die Wahl!», sagte die Stimme, «doch du wirst auf diesem Weg etwas verlieren.» So beschloss sie, der Stimme ganz zu vertrauen. «Immer wieder führte sie mich an die richtigen Orte.» Seltsame Symptome Aber so erfolgreich sie in der Schweizer Musikszene auch war: Es plagten sie immer stärker werdende diffuse Schmerzen am ganzen Körper. «Auch psychisch wurde ich geschüttelt, doch fühlte ich, dass diese Symptome andere Gründe haben mussten und ich nicht eigentlich ‹krank› war.» Trotzdem litt sie zusehends, behielt diese Dinge aber für sich. Wie ihre Angst als Kind, wenn sie nachts mal aufs Klo musste und durch den langen Gang des Jugendstilhauses rannte, weil eine «gruslige Anwesenheit» sie erschreckte. Erklärungen fand sie dafür nicht. Erst als die Eltern ihr viel später erzählten, dass in ihrem Zimmer einst die Tante Anny gestorben war. Dammbruch Dank der Hartnäckigkeit einer Freundin fand sie sich unverhofft in einem Seminarraum in Deutschland wieder und lauschte fremdartigen Anrufungen der vier Himmelsrichtungen. «Die neuseeländische Schamanin und Heilerin Wai Tuora Morgan rief eben die Kräfte des Westens, die bei den Neuseeländern für die Ahnen stehen, als ich Wesenheiten von allen Seiten herbeiströmen fühlte. Sie nahmen Raum in mir, mit ihnen das Entsetzen der deutschen Kriegsvergangenheit. Unsägliche Schmerzen, heftige Übelkeit überspülten mich, ich konnte kaum mehr gehen, fühlte mich ‹todgeweiht›.» Grün und weiss sei sie gewesen, als ihre Freundin die Hilfe der Schamanin holte. Was dann geschah, entzieht sich Ralstons Bewusstsein. «Als ich wieder zu mir kam, weinten alle, lagen sich in den Armen, alles war aufgesprengt. «Weisst du, dass du schamanische Energien in dir trägst?» , fragte Wai Tuora sie am nächsten Tag. Als Ralston zum dritten Mal verneint hatte, schlug Wai Tuora mit der Faust auf den Tisch: «Dreimal habe ich es dir gesagt, jetzt kannst du kein schwarzes Tuch mehr darüberlegen!»
Seelengesang Sie brauche eine spezielle Schulung, sagte die Schamanin und nahm sie als ihre Assistentin und Schülerin an. Sieben Jahre lang begleitete Ralston sie zu Seminaren in Europa und lernte von ihr, indem sie mit ihr lehrte. Seit sie ihre Gabe lebt, Universalkraft über die Stimme zu kanalisieren und damit heilend zu wirken, sind die Schmerzen und Beschwerden, die Teil ihrer Schamanenkraft waren, verschwunden. Mittlerweile gibt sie als schamanische Heilerin Einzelsitzungen und Seminare in Deutschland, Holland, Spanien und der Schweiz und unterrichtet in Langzeitstudienprogrammen. Zaubern, nein, das könne sie nicht, doch gehe sie mit dem, was machbar sei – wandelt Schmerz zu Sternen, singt Kraft von weit jenseits unseres Alltags in die Herzen ...